Mit Gisela Muschiol: Hoch über dem Rhein thronte das Orakel Gottes. Jeder Schifferjunge auf dem Fluss kannte Hildegard von Bingen. Die Prophetin residierte mit weitem Blick über die alten römischen Fernhandelswege nach Köln und Trier.

Erzbischöfe, Bischöfe, Äbtissinnen und Äbte zog es zu ihr hinauf den Rupertsberg. Oft nahmen sie den beschwerlichen Weg persönlich auf sich, noch öfter schickten sie Briefboten. Nicht allen Bitten konnte sie entsprechen. Einige Briefe blieben trotz drängender Nachfragen unbearbeitet. Es waren einfach zu viele. Die geistige Elite aus dem ganzen Reich suchte ihren Rat.
Während Barbarossa zusammen mit Heinrich dem Löwen das neue starke Machtzentrum im deutsch-römischen Reich bildete, war Hildegard das Zentrum für Glaubens- und Gewissensfragen. Barbarossa zog sechsmal über die Alpen um Norditalien zu unterwerfen, Hildegard war immer da. Sie saß auf dem Rupertsberg oder reiste durch das Reich und leistete Lebens- und Glaubenshilfe für hohe Entscheidungsträger.
„Wisse die Wege“ ist ihr erstes und berühmtestes Werk. Sie schrieb drei theologische Abhandlungen. Ungefähr 300 Briefe an hohe Würdenträger, den Papst und den Kaiser mit Ratschlägen und Ermahnungen sind erhalten.

In dieser Miniatur aus dem Rupertsberger Codex aus dem 12. Jahrhundert ist eine Ihrer Visionen abgebildet. Sie empfängt göttliche Inspiration und teilt sie mit ihrem Sekretär. Die hochgebildete Hildegard behauptete immer, nicht lesen und nicht schreiben zu können. Sie sei eine einfache Frau und gebe nur die Botschaften weiter, die sie empfange. Ärzte von heute diagnostizieren ihre Visionen als Migräneschübe.
Hildegard war im heute modernen Sinne ganzheitlich an Mensch und Natur interessiert. Neben ihren religiösen Visionen ud Lebensratschlägen ließ sie das Wissen ihrer Zeit zu Körper, Pflanzen und gesunder Lebensführung aufschreiben. Auch Musikkompositionen sind von ihr erhalten und werden noch heute gespielt:
Hildegard of Bingen / user:Makemi, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Auf der gegenüberliegenden Rheinseite gründete sie das Kloster Eibingen für die nichtadeligen Frauen. Die heutige Benediktinerinnen Abeit wurde erst 1900 gegründet und versteht sich in der Nachfolge Hildegards.

Die Gebeine Hildegards werden in der Pfarrkirche Eibingen in einem goldenen Schrein verwahrt.

In der Podcastfolge spreche ich mit Prof. Dr. Gisela Muschiol über das Leben der Hildegard von Bingen und verstehe, wie wenig Sie mit der „Dinkel-Hildegard“ von heute zu tun hat.

